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Drasha on Chamas: Noach. Ulrike Offenberg

Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg Noach 5784 / 20. Oktober 2023

„Dies ist die Geschichte Noachs: Noach war ein gerechter Mann, tadellos in seiner Zeit, und mit Gott wandelte Noach.“ (Gen 6,9). Diese Woche lesen wir in der Torah die Erzählung von der Sintflut, die das Leben auf der Erde vernichtete – mit Ausnahme von Noah und seiner Familie, die sich durch den Bau der Arche retten konnten. Uns steht vor allem die fröhliche Fassung der Kinderbücher und Spielzeuge vor Augen: Ein freundlich lächelnder, bärtiger Noach, auf einem Holzschiff stehend, Tiere aller Art winken uns entgegen, darüber blauer Himmel mit einem großen Regenbogen. Ein Bild von Frieden, Eintracht und Hoffnung. Darüber vergessen wir leicht den ernsten Hintergrund der Geschichte: Zuvor war Noachs Welt zerstört worden, als Strafe, weil die Erde von Gewalttat erfüllt war. Das Wort, mit dem die Torah diese Gewalttat bezeichnet, ist – Chamas חמס. Die rabbinischen Kommentatoren des Mittelalters bemühten sich, genauer zu verstehen, was Chamas konkret bedeutet. Hier ein paar ihrer Interpretationen: Chamas – das ist Raub (Raschi), und es bedeutet: Diebstahl, Unterdrückung und Vergewaltigung von Frauen (Ibn Esra). Ein anderer erklärt: Chamas meint Gewalt, Unzucht, Vergießen von unschuldigem Blut und Götzendienst (Chiskuni). Nachmanides versteht unter Chamas: Banditentum und Gesetzlosigkeit, die ein Vergehen gegen Mensch und Gott gleichermaßen seien. Und ein weiterer Kommentar nähert sich dem Thema über Gematrie an, also über die Zahlenwerte einzelner Worte. In der hebräischen Sprache ist jeder Buchstabe auch eine Ziffer, und so lassen sich aus Buchstabenfolgen Quersummen bilden. Der Zahlenwert der Flut zu Zeiten Noachs ist identisch mit dem Wort Chamas und zugleich mit dem Wort „Hölle“.

Was kann angesichts solcher Verderbtheit noch Hoffnung geben? Mit ihrer gründlichen Lesart untersuchten die Rabbiner nicht nur die Bedeutung einzelner Begriffe, sondern fragten auch danach, warum in dem Eingangsvers der Name Noach drei Mal genannt wird: „Dies ist die Geschichte Noachs: Noach war ein gerechter Mann, tadellos in seiner Zeit, und mit Gott wandelte Noach.“ Diese dreifache Namensnennung erklärt der Midrasch Tanchuma als ein Hinweis auf die drei Welten, die Noach erlebte: Zunächst kannte er die Welt, wie sie noch vor der Flut bestand. Dann überlebte er das Zeitalter ihrer Zerstörung, und anschließend war es ihm vergönnt, Zeuge des Neuerstehens der Welt zu werden. Dieses Bild beschreibt das Trauma von Überlebenden, die den Untergang ihrer Welt ansehen mussten. Aber diese Zerstörung wird nicht das letzte Wort haben, es wird ein Zeitalter kommen, in dem es keine Gewalt, kein Chamas mehr gibt. Das ist unsere Hoffnung. Schabbat Schalom!

"This is the story of Noah: Noah was a righteous man, blameless in his time, and with God Noah walked". (Gen 6:9). This week we read in the Torah the account of the Flood that destroyed life on earth - except for Noah and his family who were saved by building the Ark. We are reminded above all of the cheerful version in children's books and toys: a friendly smiling, bearded Noah standing on a wooden ship, animals of all kinds waving at us, above a blue sky with a large rainbow. An image of peace, harmony and hope. We easily forget the serious background of the story: Noah's world had previously been destroyed as punishment because the earth was filled with violence. The word the Torah uses to refer to this act of violence is - Chamas חמס. The rabbinic commentators of the Middle Ages endeavoured to understand more precisely what chamas specifically means. Here are a few of their interpretations: Chamas - that is robbery (Rashi), and it means: theft, oppression and rape of women (Ibn Ezra). Another explains: Chamas means violence, fornication, shedding of innocent blood and idolatry (Chiskuni). Nachmanides understands by chamas: banditry and lawlessness, which are an offence against man and God alike. And another commentary approaches the subject via gematria, i.e. via the numerical values of individual words. In the Hebrew language, every letter is also a number, and thus sums of letters can be formed. The numerical value of the flood in Noah's time is identical with the word chamas and at the same time with the word "hell" (gehinnom).

What can still give hope in the face of such depravity? With their thorough reading, the rabbis not only examined the meaning of individual terms, but also asked why the name Noah is mentioned three times in the opening verse: "This is the story of Noah: Noah was a righteous man, blameless in his time, and with God Noah walked." This triple naming is explained by the Midrash Tanchuma as a reference to the three worlds in which Noach lived: first, he knew the world as it existed before the flood. Then he survived the age of its destruction, and afterwards he was granted the privilege of witnessing the resurrection of the world. This image describes the trauma of survivors who had to watch the destruction of their world. But this destruction will not have the last word, there will come an age when there is no more violence, no more chamas. That is our hope.

Shabbat Shalom!

Rabbi Ulrike Offenberg (Germany)

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